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A
RTHUR
S
CHOPENHAUER
Die Welt als Wille und Vorstellung
Erster Band.
Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik
der Kantischen Philosophie enthält.
Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?
Goethe.
Vorrede zur ersten Auflage
Wie dieses Buch zu lesen sei, um möglicherweise verstanden werden zu können,
habe ich hier anzugeben mir vorgesetzt. – Was durch dasselbe mitgetheilt werden
soll, ist ein einziger Gedanke. Dennoch konnte ich, aller Bemühungen ungeachtet,
keinen kürzeren Weg ihn mitzutheilen finden, als dieses ganze Buch. – Ich halte
jenen Gedanken für Dasjenige, was man unter dem Namen der Philosophie sehr
lange gesucht hat, und dessen Auffindung, eben daher, von den historisch
Gebildeten für so unmöglich gehalten wird, wie die des Steines der Weisen, obgleich
ihnen schon Plinius sagte: Quam multa fieri non posse, priusquam sint facta,
judicantur?(Hist. nat., 7, 1.) Je nachdem man jenen einen mitzutheilenden Gedanken
von verschiedenen Seiten betrachtet, zeigt er sich als Das, was man Metaphysik,
Das, was man Ethik und Das, was man Aesthetik genannt hat; und freilich müßte er
auch dieses alles seyn, wenn er wäre, wofür ich ihn, wie schon eingestanden, halte.
Ein System von Gedanken muß allemal einen architektonischen Zusammenhang
haben, d.h. einen solchen, in welchem immer ein Theil den andern trägt, nicht aber
dieser auch jenen, der Grundstein endlich alle, ohne von ihnen getragen zu werden,
der Gipfel getragen wird, ohne zu tragen. Hingegen ein einziger Gedanke muß, so
umfassend er auch seyn mag, die vollkommenste Einheit bewahren. Läßt er
dennoch, zum Behuf seiner Mittheilung, sich in Theile zerlegen; so muß doch wieder
der Zusammenhang dieser Theile ein organischer, d.h. ein solcher seyn, wo jeder
Theil eben so sehr das Ganze erhält, als er vom Ganzen gehalten wird, keiner der
erste und keiner der letzte ist, der ganze Gedanke durch jeden Theil an Deutlichkeit
gewinnt und auch der kleinste Theil nicht völlig verstanden werden kann, ohne daß
schon das Ganze vorher verstanden sei. – Ein Buch muß inzwischen eine erste und
eine letzte Zeile haben und wird insofern einem Organismus allemal sehr unähnlich
bleiben, so sehr diesem ähnlich auch immer sein Inhalt seyn mag: folglich werden
Form und Stoff hier im Widerspruch stehn. Es ergiebt sich von selbst, daß, unter
solchen Umständen, zum Eindringen in den dargelegten Gedanken, kein anderer
Rath ist, als das Buch zwei Mal zu lesen und zwar das erste Mal mit vieler Geduld,
welche allein zu schöpfen ist aus dem freiwillig geschenkten Glauben, daß der
Anfang das Ende beinahe so sehr voraussetze, als das Ende den Anfang, und eben
so jeder frühere Theil den spätern beinahe so sehr, als dieser jenen. Ich sage
„beinahe“: denn ganz und gar so ist es keineswegs, und was irgend zu thun möglich
war, um Das, welches am wenigsten erst durch das Folgende aufgeklärt wird,
voranzuschicken, wie überhaupt, was irgend zur möglichst leichten Faßlichkeit und
Deutlichkeit beitragen konnte, ist redlich und gewissenhaft geschehn: ja, es könnte
sogar damit in gewissem Grade gelungen seyn, wenn nicht der Leser, was sehr
natürlich ist, nicht bloß an das jedesmal Gesagte, sondern auch an die möglichen
Folgerungen daraus, beim Lesen dächte, wodurch, außer den vielen wirklich
vorhandenen Widersprüchen gegen die Meinungen der Zeit und muthmaaßlich auch
des Lesers, noch so viele andere anticipirte und imaginäre hinzukommen können,
daß dann als lebhafte Mißbilligung sich darstellen muß, was noch bloßes
Mißverstehn ist, wofür man es aber um so weniger erkennt, als die mühsam erreichte
Klarheit der Darstellung und Deutlichkeit des Ausdrucks über den unmittelbaren Sinn
des Gesagten wohl nie zweifelhaft läßt, jedoch nicht seine Beziehungen auf alles
Uebrige zugleich aussprechen kann. Darum also erfordert die erste Lektüre, wie
gesagt, Geduld, aus der Zuversicht geschöpft, bei der zweiten Vieles, oder Alles, in
ganz anderm Lichte erblicken zu werden. Uebrigens muß das ernstliche Streben
nach völliger und selbst leichter Verständlichkeit, bei einem sehr schwierigen
Gegenstande, es rechtfertigen, wenn hier und dort sich eine Wiederholung findet.
Schon der organische, nicht kettenartige Bau des Ganzen machte es nöthig,
bisweilen die selbe Stelle zwei Mal zu berühren. Eben dieser Bau auch und der sehr
enge Zusammenhang aller Theile hat die mir sonst sehr schätzbare Eintheilung in
Kapitel und Paragraphen nicht zugelassen; sondern mich genöthigt, es bei vier
Hauptabtheilungen, gleichsam vier Gesichtspunkten des einen Gedankens,
bewenden zu lassen. In jedem dieser vier Bücher hat man sich besonders zu hüten,
nicht über die nothwendig abzuhandelnden Einzelheiten den Hauptgedanken, dem
sie angehören, und die Fortschreitung der ganzen Darstellung aus den Augen zu
verlieren. – Hiemit ist nun die erste und, gleich den folgenden, unerläßliche
Forderung an den (dem Philosophen, eben weil der Leser selbst einer ist)
ungeneigten Leser ausgesprochen. Die zweite Forderung ist diese, daß man vor
dem Buche die Einleitung zu demselben lese, obgleich sie nicht mit in dem Buche
steht, sondern fünf Jahre früher erschienen ist, unter dem Titel: „Ueber die vierfache
Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde: eine philosophische Abhandlung.“ –
Ohne Bekanntschaft mit dieser Einleitung und Propädeutik ist das eigentliche
Verständniß gegenwärtiger Schrift ganz und gar nicht möglich, und der Inhalt jener
Abhandlung wird hier überall so vorausgesetzt, als stände sie mit im Buche.
Uebrigens würde sie, wenn sie diesem nicht schon um mehrere Jahre
vorangegangen wäre, doch wohl nicht eigentlich als Einleitung ihm vorstehn, sondern
dem ersten Buch einverleibt seyn, welches jetzt, indem das in der Abhandlung
Gesagte ihm fehlt, eine gewisse Unvollkommenheit schon durch diese Lücken zeigt,
welche es immer durch Berufen auf jene Abhandlung ausfüllen muß. Indessen war
mein Widerwille, mich selbst abzuschreiben, oder das schon ein Mal zur Genüge
Gesagte mühsälig unter andern Worten nochmals vorzubringen, so groß, daß ich
diesen Weg vorzog, ungeachtet ich sogar jetzt dem Inhalt jener Abhandlung eine
etwas bessere Darstellung geben könnte, zumal indem ich sie von manchen, aus
meiner damaligen zu großen Befangenheit in der Kantischen Philosophie
herrührenden Begriffen reinigte, als da sind: Kategorien, äußerer und innerer Sinn u.
dgl. Indessen stehn auch dort jene Begriffe nur noch weil ich mich bis dahin nie
eigentlich tief mit ihnen eingelassen hatte, daher nur als Nebenwerk und ganz außer
Berührung mit: der Hauptsache, weshalb denn auch die Berichtigung solcher Stellen
jener Abhandlung, durch die Bekanntschaft mit gegenwärtiger Schrift, sich in den
Gedanken des Lesers ganz von selbst machen wird. – Aber allein wenn man durch
jene Abhandlung vollständig erkannt hat, was der Satz vom Grunde sei und bedeute,
worauf und worauf nicht sich seine Gültigkeit erstrecke, und daß nicht vor allen
Dingen jener Satz, und erst in Folge und Gemäßheit desselben, gleichsam als sein
Korollarium, die ganze Welt sei; sondern er vielmehr nichts weiter ist, als die Form, in
der das stets durch das Subjekt bedingte Objekt, welcher Art es auch sei, überall
erkannt wird, sofern das Subjekt ein erkennendes Individuum ist: nur dann wird es
möglich seyn, auf die hier zuerst versuchte, von allen bisherigen völlig abweichende
Methode des Philosophirens einzugehn. Allein der selbe Widerwille, mich selbst
wörtlich abzuschreiben, oder aber auch mit andern und schlechteren Worten,
nachdem ich mir die besseren selbst vorweggenommen, zum zweiten Male ganz das
Selbe zu sagen, hat noch eine zweite Lücke im ersten Buche dieser Schrift
veranlaßt, indem ich alles Dasjenige weggelassen habe, was im ersten Kapitel
meiner Abhandlung „Ueber das Sehn und die Farben“ steht und sonst hier wörtlich
seine Stelle gefunden hätte. Also auch die Bekanntschaft mit dieser frühem kleinen
Schrift wird hier vorausgesetzt. Die dritte an den Leser zu machende Forderung
endlich könnte sogar stillschweigend vorausgesetzt werden: denn es ist keine
andere, als die der Bekanntschaft mit der wichtigsten Erscheinung, welche seit zwei
Jahrtausenden in der Philosophie hervorgetreten ist und uns so nahe liegt: ich meine
die Hauptschriften Kants. Die Wirkung, welche sie in dem Geiste, zu welchem sie
wirklich reden, hervorbringen, finde ich in der That, wie wohl schon sonst gesagt
worden, der Staaroperation am Blinden gar sehr zu vergleichen: und wenn wir das
Gleichniß fortsetzen wollen, so ist mein Zweck dadurch zu bezeichnen, daß ich
Denen, an welchen jene Operation gelungen ist, eine Staarbrille habe in die Hand
geben wollen, zu deren Gebrauch also jene Operation selbst die nothwendigste
Bedingung ist. – So sehr ich demnach von Dem ausgehe, was der große Kant
geleistet hat; so hat dennoch eben das ernstliche Studium seiner Schriften mich
bedeutende Fehler in denselben entdecken lassen, welche ich aussondern und als
verwerflich darstellen mußte, um das Wahre und Vortreffliche seiner Lehre rein
davon und geläutert voraussetzen und anwenden zu können. Um aber nicht meine
eigene Darstellung durch häufige Polemik gegen Kant zu unterbrechen und zu
verwirren, habe ich diese in einen besondern Anhang gebracht. So sehr nun, dem
Gesagten zufolge, meine Schrift die Bekanntschaft mit der Kantischen Philosophie
voraussetzt; so sehr setzt sie also auch die Bekanntschaft mit jenem Anhange
voraus: daher es in dieser Rücksicht rathsam wäre, den Anhang zuerst zu lesen, um
so mehr, als der Inhalt desselben gerade zum ersten Buche gegenwärtiger Schrift
genaue Beziehungen hat. Andererseits konnte, der Natur der Sache nach, es nicht
vermieden werden, daß nicht auch der Anhang hin und wieder sich auf die Schrift
selbst beriefe: daraus nichts anderes folgt, als daß er eben so wohl, als der
Haupttheil des Werkes, zwei Mal gelesen werden muß. Kants Philosophie also ist die
einzige, mit welcher eine gründliche Bekanntschaft bei dem hier Vorzutragenden
geradezu vorausgesetzt wird. – Wenn aber überdies noch der Leser in der Schule
des göttlichen Plato geweilt hat; so wird er um so besser vorbereitet und
empfänglicher seyn, mich zu hören. Ist er aber gar noch der Wohlthat der Veda's
theilhaft geworden, deren uns durch die Upanischaden eröffneter Zugang, in meinen
Augen, der größte Vorzug ist, den dieses noch junge Jahrhundert vor den früheren
aufzuweisen hat, indem ich vermuthe, daß der Einfluß der Sanskrit-Litteratur nicht
weniger tief eingreifen wird, als im 15. Jahrhundert die Wiederbelebung der
Griechischen: hat also, sage ich, der Leser auch schon die Weihe uralter Indischer
Weisheit empfangen und empfänglich aufgenommen; dann ist er auf das allerbeste
bereitet zu hören, was ich ihm vorzutragen habe. Ihn wird es dann nicht, wie
manchen Andern fremd, ja feindlich ansprechen; da ich, wenn es nicht zu stolz
klänge, behaupten möchte, daß jeder von den einzelnen und abgerissenen
Aussprüchen, welche die Upanischaden ausmachen, sich als Folgesatz aus dem von
mir mitzutheilenden Gedanken ableiten ließe, obgleich keineswegs auch umgekehrt
dieser schon dort zu finden ist.
Aber schon sind die meisten Leser ungeduldig aufgefahren und in den mühsam so
lange zurückgehaltenen Vorwurf ausgebrochen, wie ich doch wagen könne, dem
Publikum ein Buch unter Forderungen und Bedingungen, von denen die beiden
ersten anmaaßend und ganz unbescheiden sind, vorzulegen, und dies zu einer Zeit,
wo ein so allgemeiner Reichthum an eigenthümlichen Gedanken ist, daß in
Deutschland allein solche jährlich in drei Tausend gehaltreichen, originellen und ganz
unentbehrlichen Werken, und außerdem in unzähligen periodischen Schriften, oder
gar täglichen Blättern, durch die Druckerpresse zum Gemeingute gemacht werden?
zu einer Zeit, wo besonders an ganz originellen und tiefen Philosophen nicht der
mindeste Mangel ist; sondern allein in Deutschland deren mehr zugleich leben, als
sonst etliche Jahrhunderte hinter einander aufzuweisen hatten? wie man denn, fragt
der entrüstete Leser, zu Ende kommen solle, wenn man mit einem Buche so
umständlich zu Werke gehn müßte? Da ich gegen solche Vorwürfe nicht das
Mindeste vorzubringen habe, hoffe ich nur auf einigen Dank bei diesen Lesern dafür,
daß ich sie bei Zeiten gewarnt habe, damit sie keine Stunde verlieren mit einem
Buche, dessen Durchlesung ohne Erfüllung der gemachten Forderungen nicht
fruchten könnte und daher ganz zu unterlassen ist, zumal da auch sonst gar Vieles
zu wetten, daß es ihnen nicht zusagen kann, daß es vielmehr immer nur paucorum
hominum seyn wird und daher gelassen und bescheiden auf die Wenigen warten
muß, deren ungewöhnliche Denkungsart es genießbar fände. Denn, auch abgesehn
von den Weitläuftigkeiten und der Anstrengung, die es dem Leser zumuthet, welcher
Gebildete dieser Zeit, deren Wissen dem herrlichen Punkte nahe gekommen ist, wo
paradox und falsch ganz einerlei sind, könnte es ertragen, fast auf jeder Seite
Gedanken zu begegnen, die Dem, was er doch selbst ein für alle Mal als wahr und
ausgemacht festgesetzt hat, geradezu widersprechen? Und dann, wie unangenehm
wird Mancher sich getäuscht finden, wenn er hier gar keine Rede antrifft von Dem,
was er gerade hier durchaus suchen zu müssen glaubt, weil seine Art zu spekuliren
zusammentrifft mit der eines noch lebenden großen Philosophen, welcher wahrhaft
rührende Bücher geschrieben und nur die kleine Schwachheit hat, Alles, was er vor
seinem fünfzehnten Jahre gelernt und approbirt hat, für angeborene Grundgedanken
des menschlichen Geistes zu halten. Wer möchte alles dies ertragen? Daher mein
Rath ist, das Buch nur wieder wegzulegen. Allein ich fürchte selbst so nicht
loszukommen. Der bis zur Vorrede, die ihn abweist, gelangte Leser hat das Buch für
baares Geld gekauft und fragt, was ihn schadlos hält? – Meine letzte Zuflucht ist
jetzt, ihn zu erinnern, daß er ein Buch, auch ohne es gerade zu lesen, doch auf
mancherlei Art zu benutzen weiß. Es kann, so gut wie viele andere, eine Lücke
seiner Bibliothek ausfüllen, wo es sich, sauber gebunden, gewiß gut ausnehmen
wird. Oder auch er kann es seiner gelehrten Freundin auf die Toilette, oder den
Theetisch legen. Oder endlich er kann ja, was gewiß das Beste von Allem ist und ich
besonders rathe, es recensiren. Und so, nachdem ich mir den Scherz erlaubt,
welchem eine Stelle zu gönnen in diesem durchweg zweideutigen Leben kaum
irgend ein Blatt zu ernsthaft seyn kann, gebe ich mit innigem Ernst das Buch hin, in
der Zuversicht, daß es früh oder spät Diejenigen erreichen wird, an welche es allein
gerichtet seyn kann, und übrigens gelassen darin ergeben, daß auch ihm in vollem
Maaße das Schicksal werde, welches in jeder Erkenntniß, also um so mehr in der
wichtigsten, allezeit der Wahrheit zu Theil ward, der nur ein kurzes Siegesfest
beschieden ist, zwischen den beiden langen Zeiträumen, wo sie als paradox
verdammt und als trivial geringgeschätzt wird. Auch pflegt das erstere Schicksal
ihren Urheber mitzutreffen. – Aber das Leben ist kurz und die Wahrheit wirkt ferne
und lebt lange: sagen wir die Wahrheit.
(Geschrieben zu Dresden im August 1818.)
Vorrede zur zweiten Auflage.
Nicht den Zeitgenossen, nicht den Landsgenossen, - der Menschheit übergebe ich
mein nunmehr vollendetes Werk, in der Zuversicht, daß es nicht ohne Werth für sie
seyn wird; sollte auch dieser, wie es das Loos des Guten in jeder Art mit sich bringt,
erst spät erkannt werden. Denn nur für sie, nicht für das vorübereilende, mit seinem
einstweiligen Wahn beschäftigte Geschlecht, kann es gewesen seyn, daß mein Kopf,
fast wider meinen Willen, ein langes Leben hindurch, seiner Arbeit unausgesetzt
obgelegen hat. An dem Werth derselben hat, während der Zeit, auch der Mangel an
Theilnahme mich nicht irre machen können; weil ich fortwährend das Falsche, das
Schlechte, zuletzt das Absurde und Unsinnige2 in allgemeiner Bewunderung und
Verehrung stehn sah und bedachte, daß wenn Diejenigen, welche das Aechte und
Rechte zu erkennen fähig sind, nicht so selten wären, daß man einige zwanzig Jahre
hindurch vergeblich nach ihnen sich umsehn kann, Derer, die es hervorzubringen
vermögen, nicht so wenige seyn könnten, daß Ihre Werke nachmals eine Ausnahme
machen von der Vergänglichkeit irdischer Dinge; wodurch dann die erquickende
Aussicht auf die Nachwelt verloren gienge, derer Jeder, der sich ein hohes Ziel
gesteckt hat, zu seiner Stärkung bedarf. - Wer eine Sache, die nicht zu materiellem
Nutzen führt, ernsthaft nimmt und betreibt, darf auf die Theilnahme der Zeitgenossen
nicht rechnen. Wohl aber wird er meistens sehn, daß unterdessen der Schein solcher
Sache sich in der Welt geltend macht und seinen Tag genießt: und dies ist in der
Ordnung. Denn die Sache selbst muß auch ihrer selbst wegen betrieben werden:
sonst kann sie nicht gelingen; weil überall jede Absicht der Einsicht Gefahr droht.
Demgemäß hat, wie die Litterargeschichte durchweg bezeugt, jedes Werthvolle, um
zur Geltung zu gelangen, viel Zeit gebraucht; zumal wenn es von der belehrenden,
nicht von der unterhaltenden Gattung war: und unterdessen glänzte das Falsche.
Denn die Sache mit dem Schein der Sache zu vereinigen ist schwer, wo nicht
unmöglich. Das eben ist ja der Fluch dieser Welt der Noth und des Bedürfnisses, daß
Diesen Alles dienen und fröhnen muß: daher eben ist sie nicht so beschaffen, daß in
ihr irgend ein edles und erhabenes Streben, wie das nach Licht und Wahrheit ist,
ungehindert gedeihen und seiner selbst wegen daseyn dürfte. Sondern selbst wenn
ein Mal ein solches sich hat geltend machen können und dadurch der Begriff davon
eingeführt ist; so werden alsbald die materiellen Interessen, die persönlichen Zwecke,
auch seiner sich bemächtigen, um ihr Werkzeug, oder ihre Maske daraus zu machen.
Demgemäß mußte, nachdem Kant die Philosophie von Neuem zu Ansehn gebracht
hatte, auch sie gar bald das Werkzeug der Zwecke werden, der staatlichen von oben,
der persönlichen von unten; - wenn auch, genau genommen, nicht sie; doch ihr
Doppelgänger, der für sie gilt. Dies darf sogar uns nicht befremden: denn die
unglaublich große Mehrzahl der Menschen ist, ihrer Natur zufolge, durchaus keiner
andern, als materieller Zwecke fähig, ja, kann keine andern begreifen. Demnach ist
das Streben nach Wahrheit allein ein viel zu hohes und excentrisches, als daß
erwartet werden dürfte, daß Alle, daß Viele, ja daß auch nur Einige aufrichtig daran
Theil nehmen sollten. Sieht man dennoch ein Mal, wie z.B. eben jetzt in Deutschland,
eine auffallende Regsamkeit, ein allgemeines Treiben, Schreiben und Reden in
Sachen der Philosophie; so darf man zuversichtlich voraussetzen, daß das wirkliche
primum mobile, die versteckte Triebfeder solcher Bewegung, aller feierlichen Mienen
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