DMSO Stellenwert.docx

(20 KB) Pobierz

DMSO Stellenwert

von Angelika Krause, Sonntag, 15. März 2015 um 11:04

DMSO – Stellenwert in der Handtherapie

Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Carls www.carls-j.de

Schlüssselworte: DMSO, DMSO Salbe, Dimethylsulfoxid, Entzündung, Toxizität, Narbe,

Kollagen, CRPS, Radikale, Morbus Dupuytren, Morbus Ledderhose

Zusammenfassung: DMSO ist eine Substanz, die von der Haut und Schleimhäuten rasch

resorbiert wird und dabei als Enhancer weitere Stoffe in die Tiefe ziehen kann. Weiterhin

kann es die Erregungsschwelle von Nerven senken. Daraus resultieren eine analgetische

und parasympthikomimetische Wirkung. Durch die Freisetzung von PGE1 und Histamin wirkt

es vasodilatatorisch auf Arterien und Venen. Es kann Kollagen lösen und belässt Elastin

(Einsatz bei Sklerodermie, frischen Narben, Vermeidung von Verklebungen). Es wird sehr

erfolgreich bei Erkrankungen mit chronischen Schmerzen, Mobilisation von entzündlich

veränderten Gelenken und Sehnen eingesetzt. Bei der Anwendung müssen für Therapeut

und Patient gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.

Was ist DMSO (Dimethylsulfoxid, CH3-SO-CH3)?

DMSO ist eine bei Raumtemperatur wasserklare Flüssigkeit mit einer Dichte von 1,1 g/ml.

Unter 18,5 °C ist sie fest und wird so – vor allem im Winter – als durchsichtiger „Kristall“ in

Flaschen geliefert. Hochreines DMSO ist fast geruchlos, etwas weniger reines hat einen

leichten Lauchgeruch. Es schmeckt leicht bitter. DMSO ist sehr hygroskopisch

(wasseranziehend aus der Raumluft). Dimethylsulfoxid löst sich sehr gut in Wasser, wobei es

zu einer erheblichen Erwärmung des Gemisches kommt. Gute Löslichkeit besteht auch in

verschiedenen organischen Lösungsmitteln. Es selbst löst auch Salze und kann diese durch

die Haut transportieren, ohne dass sie verletzt wird. Die akute Toxizität liegt bei Ratten: LD50

= 18 ml/kg, oral. Umgerechnet auf einen 75 kg schweren Erwachsenen müsste dieser

theoretisch 1350 ml (1,5 kg) DMSO trinken.

Pharmakologische Eigenschaften von DMSO

DMSO wird von der Haut oder Schleimhäuten rasch resorbiert. Es beschleunigt als

„Enhancer“ die Absorption zahlreicher Substanzen durch die Haut, was man sich in der

Pharmazie auch zunutze macht. Es wird in der Humanmedizin und Zellbiologie vor allem als

Entzündungshemmer und „Frostschutzmittel“ für Zellkulturen verwendet.

· Das Mittel wirkt direkt gegen Schmerz durch Blockade schmerzleitender peripherer CFasern.

Die Wirkung kann nach Applikation ca. 4–6 Stunden andauern. In einem

Laborversuch wurden diese Nervenfasern in 5–10% DMSO in Ringerlösung

inaktiviert. Nach Spülen mit reiner Ringerlactatlösung war dieser Effekt schnell

rückgängig zu machen. H.J. Haigler verglich 1983 die Wirksamkeit der

Schmerzstillung von DMSO mit der von nicht retardiertem Morphin. Die Wirkstärke

war der von Morphin sehr ähnlich. DMSO zeigte hingegen eine längere Wirkdauer:

DMSO 6 Std.; Morphin 2 Std. Nach eigenen Erfahrungen ist die Wirkstärke von

DMSO an der Hand oft stärker, die Wirkdauer der praktisch angewandten Opiate

gleich der von DMSO. Die Wirkdauer beträgt bei DMSO und nicht retardierten

Opiaten etwa 4 bis 6 Stunden.

· DMSO unterdrückt Entzündungen durch verschiedene Mechanismen: Es wirkt als

Antioxidans, als sogenannter Radikalfänger (scavenger) im Bereich der Entzündung.

08.2012 2

In vitro-Studien haben gezeigt, dass aktivierte neutrophile Leukozyten im Rahmen

einer Entzündung eine Reihe „reaktiver sauerstoffhaltiger Substanzen“ (ROS,

reactive oxygen species) produzieren – darunter auch H2O2, Wasserstoffperoxid.

Hieraus können unter Mitwirkung von Eisen als Katalysator äußerst reaktive

Hydroxyl-Radikale (OH.) entstehen. ROS sind sehr reaktionsfreudig und können eine

Reihe biologischer Substrate zerstören. Diese können Knorpel (Arthrose!),

Schleimhautzellen etc. sein. Nach Aspirin war DMSO das erste nicht steroidale

Antiphlogistikum. Im menschlichen Körper entstehen beim Abbau in der Leber

Substanzen, die nach Knoblauch riechen. Im Eigensuch kann man diese

Abbauprodukte schon wenige Minuten nach Auftragen auf den Unterarm schmecken.

Diese Metabolite sind unschädlich. DMSO-Lösungen werden vor allem bei

Sklerodermie und interstitieller Zystitis angewandt.

· DMSO setzt potent Histamin frei und führt so zu einer Vasodilatation. Die

Freisetzung von Histamin ist ein Grund, warum Menschen mit einer allergischen

Disposition DMSO nicht großflächig oder hochkonzentriert (>15%) anwenden sollten.

Im Eigenversuch* wurde die dünne palmarseitige Unterarmhaut großflächig mit

99,8%igem DMSO bestrichen. Nach wenigen Minuten konnte man eine Urtikaria

(Nesselsucht) beobachten (Abb. 1). Dieses Phänomen ist normal, kann bei

verschiedenen Menschen nur unterschiedlich stark sein. Im Eigenversuch fühlte es

sich an, als würden frische Brennnesselblätter über die Haut gestrichen. Die Urtikaria

klang nach Abspülen mit klarem Wasser nach ½ Stunde wieder vollkommen ab.

Zurück blieb ein angenehmes Wärmegefühl sowohl im Unterarm als auch in der

Hand.

Bei entsprechend disponierten Menschen kann die großflächige Anwendung

hochprozentiger Zubereitungen im Gesicht, Hals und auf den Schleimhäuten

gefährlich werden.

· 1975 wiesen LeHann et al. nach, dass DMSO die Syntheserate von Prostaglandin E1

(PGE1) erhöht.

PGE1 ist ein moderater Vasodilatator, der fast alle Gefäße mit Ausnahme der großen

Venen dilatiert. PGE1 ist in Deutschland als Medikament gegen periphere arterielle

Verschlusskrankheiten unter dem Namen Prostavasin® auf dem Markt. Dieses

Prostaglandin kann eine Thrombozytenaggregation verhindern. Es hemmt die

Kalzium-induzierte Freisetzung von Noradrenalin in Nervenenden, ein Effekt, der

wiederum eine Vasodilatation fördert. DMSO wirkt weiterhin auf Prostaglandin I2,

Plättchenfaktor G2 (PFG2) durch Blockade der Rezeptoren, Plättchenfaktor E2

(PFE2) durch Drosselung der Synthese. Diese Liste wird in der Zukunft sicherlich

noch verlängert.

Bereits 1966 wiesen J.E. Adamson et al. eine bessere Überlebensrate von gestielten

Gewebelappen nach. Dieses wurde auf die Freisetzung von Histamin und PGE2

zurückgeführt. Im Bereich der Hand ist dieses therapeutisch interessant bei der

Nachbehandlung von durchblutungsgefährdeten Läppchenspitzen nach z.B.

ausgedehnten Fasziotomien bei M. Dupuytren.

· DMSO wirkt auf das vegetative Nervensystem. Nach den Studien von Sams et al.

(1966) wurde die Erregungsschwelle des N. vagus (Parasympathikus) um 50%

gesenkt, wenn dieser Nerv mit 6%iger DMSO-Lösung behandelt wurde. Das

bedeutet, dass der Parasympathikotonus durch DMSO erhöht wird. Im Einzelnen

bedeutet dies eine mäßige Erweiterung der Gefäße, eine Kontraktion der

Bronchialmuskulatur, vermehrte Sekretion der Bronchialdrüsen, Zunahme der

08.2012 3

Magen-Darm-Motilität, Zunahme von Drüsensekretionen und profuser

Sekretionszunahme exokriner Drüsen. DMSO wirkt auf Bindegewebe und Narben.

J.H. Mayer et al. haben 1965 an Ratten nachgewiesen, dass peritoneale

Verwachsungen (Briden) durch Einwirkung von DMSO reduziert werden können.

Unbehandelte Tiere wiesen innerhalb von 5 Wochen nach ausgedehnter

Dünndarmoperation zu 100% Briden auf. In weiteren Gruppen traten Verklebungen in

der folgenden Häufigkeit auf: DMSO allein: 20%, DMSO-Kortison: 80%, Kortison

allein: 100%, Physiologische Salzlösung 100%

In Hautbiopsien von Patienten, die an Sklerodermie leiden und mit DMSO topisch

behandelt waren, fanden sich zum Teil gelöstes Kollagen aber intakte elastische

Fasern (A.L. Scherbel 1967). Im selben Jahr untersucht A.L. Scherbel den Effekt von

DMSO auf Keloide. Nach einer topischen DMSO-Behandlung zeigte die

pathologisch-anatomische Untersuchung eine histologische Veränderung in Richtung

eines „normalen“ Narbengewebes auf.

Unerwünschte Wirkungen von DMSO

In 1968 wurde im staatlichen Gefängnis in Vacaville, Kalifornien, eine Langzeitstudie

bezüglich der Toxizität von DMSO durchgeführt. 78 Probanden wurde eine Zubereitung mit

80% (!) DMSO verabreicht mit einer täglichen Dosis von 1g/kg Körpermasse über 3 Monate.

Diese Dosierung liegt weit über der Tagesdosis in der Handtherapie (15–30fache Menge auf

die Körpermasse bezogen). Ergebnisse:

Abbruch wegen Urtikaria: 17%, erhöhter Leberwerte: 2,6%, Eosinophilie: 13%,

ophthalmologischer Komplikationen: 0%, Sedierung/Kopfschmerzen: 52%, Übelkeit: 42%,

Erbrechen: 6%, Mundtrockenheit: 5%, Durchfall: 5% Luftnot: 2%

Hierbei muss beachtet werden, dass Tagesdosis und Dauer der Anwendung stark erhöht

gewählt wurden. Kumulativ wurde jeden Probanden in 90 Tagen 6,8 Liter (7,5 kg) reinstes

DMSO durch die Haut verabreicht. Das Ergebnis lautete: DMSO stellte sich unter den

Bedingungen dieser speziellen Studie als sehr sicher dar.

Anwendungen von DMSO in der Handtherapie:

In den letzten 5 Jahren wurde mit einem Ergotherapeuten in der Orthopädischen Klinik der

MHH (bis 05.2010) eine Langzeitbeobachtung bei verschiedenen Indikationen unternommen:

· Bewegungseinschränkungen nach frustraner Mobilisation der Finger nach

Traumata

· Rheumatoide Arthritis

· Nicht spezifische Synovitiden der Gelenke oder Sehnen, z.B. schnellender Finger,

Tendosynovitis stenosans de Quervain, algophobe Bewegungseinschränkung

· CRPS Typ 1 in Stadium 1 und 2

· CRPS Typ 2 nach Nervenläsionen (z.B. Durchtrennung, Nervenvernarbung etc.)

· Narbenbehandlung

· In Frühstadien bei M. Dupuytren und M. Ledderhose

Benutzt wurde in der Regel eine Zubereitung (Salbe) aus 50% DMSO, 3% Diclofenac-Na,

0,1% Lavendelöl, kein Konservierungsstoff in einer hydrophilen Salbengrundlage. Hydrophil,

damit die Zubereitung bei überempfindlichen Patienten schnell mit Wasser abgespült werden

kann. Die genaue, optimale (stabile, nicht Konservierungsmittel-pflichtige und wasserfreie)

Rezeptur ist nur dem Autor bekannt und beruht auf eigener evidenzbasierter

Zusammensetzung. Wünschten Pat. eine Salbe in Deutschland, wurde ein Magistralrezept

08.2012 4

zur Einlösung in einer Apotheke ausgestellt. Hierbei gab es viele suboptimale Zubereitungen

mit Entmischung der Zutaten, Zusatz von Konservierungsstoffen, kurzer Haltbarkeit etc.

Dieses gilt auch für in Deutschland im Internet werbende Apotheken, die die

Zubereitungsform sukzessive ändern müssen, um die Entmischung zu vermeiden.

Für den Therapeuten ist es wichtig, nicht mit bloßen Händen zu arbeiten, sondern

Schutzhandschuhe zu tragen. Für die Arbeit mit DMSO eignen sich Latexhandschuhe nicht.

Zu empfehlen sind Nitrilhandschuhe, die eine deutlich geringere Durchlässigkeit gegenüber

DMSO besitzen. Ein Therapeut der im Rahmen von Vorversuchen ohne Handschuhe mit der

Rezeptur arbeitete, bekam die motilitätssteigernde Wirkung am Dickdarm zu spüren. Ein

weiterer Therapeut klagte gegen Abend über einen intensiven Knoblauchgeschmack. Diese

Unannehmlichkeiten ließen sich durch Verwendung von Handschuhen vermeiden.

Um mit der Behandlung zu beginnen, sollte zunächst gefragt werden, ob beim Patienten eine

allergische Diathese vorliegt. Wird die Frage positiv beantwortet, sollte zunächst mit sehr

kleinen Mengen gearbeitet werden. Keine größeren Mengen sollten bei rothaarigen

Patienten mit zarter weißer Haut verwendet werden. Der Behandlungsraum sollte ein

Waschbecken besitzen, um im Falle einer Unverträglichkeit die Salbe sofort abspülen zu

können. Die Salbe sollte nie mit Schleimhäuten in Berührung kommen, denn dort brennt sie

sehr stark. Auch am Hals sollte vorsichtig verfahren werden.

Anwendung von DMSO bei CRPS *

Wir verwenden in der Regel die Standard-Mixtur aus vorausgegangenem Abschnitt. Diese

Konzentrationen von 50% DMSO und 3 % Diclofenac-Na vertragen fast alle Patienten. Für

sehr empfindliche gibt es noch eine Zubereitung ohne Diclofenac. Für sehr trockene Haut

(DMSO entfettet bei häufiger Anwendung die Haut) können „natural moisturing factors, NMF“

in die Zubereitung gemischt werden. Nach einer Behandlung sollte in jedem Falle eine

Hautpflege mit rückfettender Creme durchgeführt werden. Bei dicker Haut und Patienten, die

wenig auf die Standardzubereitung reagieren, können mit einer höher potenten Salbe

versorgt werden. Hier verwenden wir selten 60% DMSO und bis zu 5% Diclofenac-Na.

Empirisch sind höhere Diclofenac-Na Konzentrationen nicht erfolgreicher. Vor der Therapie

muss der Patient das zu versorgende Hautareal von Make-up, Hand-Cremes und Parfums

befreien, damit diese nicht durch DMSO in die Tiefe transportiert werden und dort ungeplant

wirken. Der Therapeut massiert die Salbe unter Vermeidung von Schmerzen ein. Je länger

massiert wird, umso intensiver ist die Wirkung. Bloßes Auftragen von Salbe ist weniger

wirksam. Wenige Minuten nach Auftragen und Einmassieren verspürt der Patient ein

Wärmegefühl und vielleicht auch einen Knoblauchgeschmack. Dann kann mit vorsichtigen

Mobilisationsübungen begonnen werden.

Eine weitere Steigerung kann durch einen Okklusiv-Verband erreicht werden: Die Salbe wird

auf eine sehr dünne Kompresse aufgetragen, die Hand mit diesen Kompressen bedeckt und

dann mit Haushaltsfolie umwickelt. Anfangs – zum Testen – sollte die Zeit nicht 30 Minuten

überschreiten. So kann man bei Verträglichkeit die Dauer des Verbandes bis auf 2 Stunden

verlängert werden. Die Patienten berichten danach häufig über eine Schmerzlinderung von

bis zu 6 Stunden.

Bei fortlaufender Therapie sinkt erfahrungsgemäß die Empfindlichkeit der Haut. Ob ein

Patient gut auf DMSO-Salbe anspricht, kann oft erst nach einigen Sitzungen endgültig

beantwortet werden.

 

Zgłoś jeśli naruszono regulamin